Sonntag, 29. Juli 2007

Im Land der Blinden

Im Land der Blinden ist der Einäugige König. Sagt man. Klingt auch logisch. Der Schriftsteller, Visionär und Historiker H.G. Wells hat 1904 dieses Sprichwort zum Ausgangspunkt einer faszinierenden Kurzgeschichte gemacht.

"The Country of the Blind" erzählt von einem Bergsteiger, der durch einen Unfall in den Ecuadorischen Anden in ein, vom Rest der Welt isoliertes Dorf gelangt, dessen Bewohner seit der 14. Generation blind sind. Wells verkehrt mit der Geschichte die Aussage der eingangs erwähnten Redensart ins Gegenteil. Der Sehende wird nicht zum König, denn er redet für die Dorfbewohner nur wirres Zeug (Vokabular für sichtbare Dinge ist logischerweise verschwunden), er stolpert in ihren dunklen Häusern, und durch die verbesserten restlichen Sinne der Blinden bringen seine funktionierenden Augen keinen Vorteil. Im Gegenteil, er wird zum bemitleidenswerten Sonderling, und am Ende verlangt man von ihm sogar, seine Abnormalität heilen, d.h. seine Augen entfernen zu lassen, um von der Gemeinschaft akzeptiert zu werden.*

An diese Geschichte musste ich kürzlich in einer Diskussion um methodischen Naturalismus (MN) und Intelligent Design denken. ID-Vertreter argumentieren, dass ein dogmatisch angewendeter MN nur naturalistische Ursachen erlaube, unabhängig davon, ob es diese auch immer gibt. In diesem Sinne ist man zwar nicht blind, schränkt aber das, was man sehen kann, von vornherein ein - weil es in der wissenschaftlichen Gemeinde so üblich sei und bisher auch erfolgreich praktiziert wurde. ID-Vertretern wird vorgeworfen: "Ihr schließt einen übernatürlichen Designer nicht aus, genau das macht man aber in der scientific community." Eine freiwillige Beschränkung der Sicht würde also auch hier zur Akzeptanz der Gemeinschaft führen.**

* Die Geschichte hat gewisse Parallelen mit Platons berühmten Höhlengleichnis.
** Wenn man´s glaubt. ;)

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