Dienstag, 25. September 2007

Zu Besuch im Tierpark


"Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt."

(Rilke, 1904)

Dienstag, 18. September 2007

Der Wert eines zufälligen Lebens

Fritz Poppenberg, der Berliner Filmemacher, der sich mit evolutionskritischen Filmen wie „Gott würfelt nicht“ angeblich eine goldene Nase verdient, widmet sich in seinem neusten Film dem Thema Abtreibung.* In „Maria und ihre Kinder“ geht es um eine sogenannte Gehsteigberaterin, die versucht, Frauen vom Gang in die Abtreibungsklinik abzuhalten und auf diese Weise schon mehrere hundert Kinder vor dem Tod bewahren konnte.

Die legale Tötung der eigenen Leibesfrucht ist eines der „Menschenrechte“, die – wie Vertreter eines evolutionären Humanismus gern betonen – gegen den Widerstand der Kirchen erkämpft wurde. Oft mit Ausnahmesituationen wie Lebensgefahr für die Mutter oder Vergewaltigung begründet, sterben in der Praxis ungezählte Kinder aus rein wirtschaftlichen Erwägungen. Heute geht die Kritik an der alltäglichen Abtreibungspraktik vor allen von katholischen Kreisen aus. In der Kontroverse um Abtreibung spiegeln sich Ansichten über Leben an sich wider – wann beginnt Leben, ab wann hat es einen Wert, hat es überhaupt einen grundsätzlichen, einfach gegebenen Wert, der sich nicht gegen andere Leben aufrechnen lässt, etc.

Die Fronten erscheinen so, dass Kritik an Abtreibung vor allen von Gläubigen ausgeht, während „aufgeklärte“ Geister sie als Frauenrecht oder zumindest notwendiges Übel sehen.

Doch – dumm gefragt – muss man wirklich ein gläubiger Mensch oder gar Christ sein, um die staatlich subventionierte und massenhaft betriebene Entsorgung von „Schwangerschaftsgewebe“ abzulehnen? Als jemand, der selbst eine zeitlang Agnostiker war, bezweifle ich das.

Eine Ablehnung von Abtreibungen lässt sich auch ohne religiösen Bezugnahmen begründen. Richard Dawkins, einer der Wortführer der 'neuen Atheisten', sagt in der von ihm produzierten, zweiteiligen Dokumentation „The Root of all Evil?“ gegen Ende:

„We are going to die, and that makes us the lucky ones. Most people are never going to die, because they are never going to be born. The number of people who could be here in my place outnumbers the sand grains of Sahara. If you think about all the different ways our genes could be permuted, you and I are quite grotesquely lucky to be here: the number of events that had to happen in order for you to exist, in order for me to exist. We are privileged to be alive and we should make the most of our time on this world.“**

Praktisch also ein Plädoyer für das Leben, und eine Begründung seines Wertes aus der absolut einmaligen und unwiederholbaren Verkettung der Umstände seiner Entstehung. Die zahllosen „ways our genes could be permuted“ sind aber mit dem Vorgang der Befruchtung der Eizelle besiegelt; ab diesen Moment hat das neubegonnene Leben seinen einmaligen Wert, ist „privileged to be alive“.

Es könnten also rein theoretisch genauso gut Atheisten vom Schlage eines Richard Dawkins sein, die sich aus reinem Idealismus Tag für Tag vor Abtreibungskliniken stellen und Müttern und Vätern die Hilfe anbieten, die sie benötigen, um ihren Kindern das Privileg des Lebens zu gönnen.*** Sind es aber nicht. Welche Hoffnung besteht eigentlich angesichts dessen, dass ein „evolutionärer Humanismus“ sich nicht nur an den pragmatischen Bedürfnissen einer meinungsfähigen Mehrheit orientiert?


Uraufführung von „Maria und ihre Kinder“ am 22. September um 19 Uhr in der Urania Berlin. Näheres unter www.dreilindenfilm.de . (Trailer zum Film auf TooCrazyFilms)


* Vermutlich wurden Poppenberg die enormen Einnahmen aus seinen evolutionskritischen Filmen mittlerweile schon selbst unheimlich, dass er sich jetzt einem anderen Thema zuwendet. Oder die Geldspeicher sind so voll, dass kein Kopfsprung in die Münzen mehr möglich ist. (Im Ernst: Wäre Kreationismus ein so florierendes Business wie Abtreibung, könnten sich Kutschera und Co. warm anziehen.)

** "The Root of all Evil? - Teil 1" auf Google Video
"The Root of all Evil? - Teil 2" auf Google Video

*** Praktisch alle Frauen, die sich durch eine derartige Gehsteigberatung für ihr Kind entschieden haben, sind dankbar und glücklich über diese Entscheidung. Das wirft ein interessantes Licht auf den so oft beschworenen Rechtekonflikt Frau versus Kind.

Samstag, 25. August 2007

ID-Werbung in Berlin

In Berlin (sowie in Düsseldorf, Hamburg und Stuttgart) hängen derzeit Plakate einer Zigarettenmarke (die ich aus Jugendschutzgründen, falls hier Kinder und Jugendliche mitlesen (bzw. falls hier überhaupt wer mitliest) mal entfernt habe), die mit dem Slogan "Perfektion braucht keine Extras" werben. Was hat das mit ID und dem ganzen Rest zu tun? Nun, im Lichte sogenannter Dysteleologie-Argumente ist es doch ganz interessant, wie selbstverständlich gewisse Features der Natur mit dem Begriff Perfektion assoziiert werden. (In diesem Zusammenhang könnte man sich vielleicht auch mal fragen, wieso sich die gängigsten Dysteleologie-Argumente auf Menschen beziehen, wie beispielsweise Wirbelsäulenprobleme aufgrund der postulierten Umstellung von vier auf zwei Beine oder die Überkreuzung von Luft- und Speiseröhre, etc.)




Sonntag, 29. Juli 2007

Im Land der Blinden

Im Land der Blinden ist der Einäugige König. Sagt man. Klingt auch logisch. Der Schriftsteller, Visionär und Historiker H.G. Wells hat 1904 dieses Sprichwort zum Ausgangspunkt einer faszinierenden Kurzgeschichte gemacht.

"The Country of the Blind" erzählt von einem Bergsteiger, der durch einen Unfall in den Ecuadorischen Anden in ein, vom Rest der Welt isoliertes Dorf gelangt, dessen Bewohner seit der 14. Generation blind sind. Wells verkehrt mit der Geschichte die Aussage der eingangs erwähnten Redensart ins Gegenteil. Der Sehende wird nicht zum König, denn er redet für die Dorfbewohner nur wirres Zeug (Vokabular für sichtbare Dinge ist logischerweise verschwunden), er stolpert in ihren dunklen Häusern, und durch die verbesserten restlichen Sinne der Blinden bringen seine funktionierenden Augen keinen Vorteil. Im Gegenteil, er wird zum bemitleidenswerten Sonderling, und am Ende verlangt man von ihm sogar, seine Abnormalität heilen, d.h. seine Augen entfernen zu lassen, um von der Gemeinschaft akzeptiert zu werden.*

An diese Geschichte musste ich kürzlich in einer Diskussion um methodischen Naturalismus (MN) und Intelligent Design denken. ID-Vertreter argumentieren, dass ein dogmatisch angewendeter MN nur naturalistische Ursachen erlaube, unabhängig davon, ob es diese auch immer gibt. In diesem Sinne ist man zwar nicht blind, schränkt aber das, was man sehen kann, von vornherein ein - weil es in der wissenschaftlichen Gemeinde so üblich sei und bisher auch erfolgreich praktiziert wurde. ID-Vertretern wird vorgeworfen: "Ihr schließt einen übernatürlichen Designer nicht aus, genau das macht man aber in der scientific community." Eine freiwillige Beschränkung der Sicht würde also auch hier zur Akzeptanz der Gemeinschaft führen.**

* Die Geschichte hat gewisse Parallelen mit Platons berühmten Höhlengleichnis.
** Wenn man´s glaubt. ;)

Freitag, 27. Juli 2007

Size Doesn´t Matter

Was denkt ein IDler, wenn er in der U-Bahn sitzt und über die Werbebildschirme eine Meldung über einen französischen Beamten liest, der sein Leben mit einem Mini-Gehirn von ungefähr 10 % der normalen Gehirnmasse meistert? Vielleicht sieht er sich einige seiner Mit-Passagiere an und bringt ihnen von nun an etwas mehr Verständnis entgegen. Vielleicht sieht er einige seiner Erlebnisse mit Beamten von nun an in einem neuen Licht. Vielleicht hält er die Meldung auch nur für einen witzigen PR-Gag für den neuen Simpsons-Kinofilm.

Okay, die Meldung provoziert geradezu ironische Kommentare. Doch der IDler (der sich als Mitglied einer als gefährlich angesehenen Randgruppe potentiell selbst als Opfer solcher Kommentare einstuft) denkt vorrangig an den oft zitierten Spruch, dass wir nur zehn Prozent unseres Gehirns nutzen. Den formulierte Einstein jedoch eher als Witz , denn als wissenschaftlich verwertbares Statement („Die meisten Menschen nutzen nur fünf bis sechs Prozent ihrer Gehirnkapazität. Ich nutze sieben Prozent!") Meldungen über Menschen, die mit einem nur teilweise vorhandenem oder stark verkleinerten Gehirn ein normales Leben führen, waren bisher umstritten (siehe hier).

Mit dieser Meldung kann man sich nun erneut die Frage stellen, warum unser Gehirn so groß ist, wenn 10 % davon bereits einen, unter evolutionären Bedingungen völlig ausreichenden Überlebensvorteil darstellen (Vor allem unter Aspekten wie dem Energieverbrauch und dem Geburtsvorgang).

Donnerstag, 19. Juli 2007

Neue Flugtheorie bedroht Leben von Piloten und Fluggästen!

Seit der Pionierleistung des ersten erfolgreichen, andauernden und gesteuerten Motorflugs durch die Gebrüder Wright dürfte eigentlich kein Zweifel mehr an modernen Theorien über die Aerodynamik von Flügeln bestehen - warum ihre spezielle Form Auftrieb erzeugt und sie Apparate, die schwerer als Luft sind, fliegen lässt.

Doch der angebliche Aeronautik-Experte David Anderson erhebt über hundert Jahre nach Lilienthal Einspruch. Seiner Meinung nach entstehe Auftrieb nicht dadurch, dass durch die Wölbung an der Unterseite des Flügels die Luft dort schneller fließe, und durch den größeren Druck unterhalb des Flügels die Maschine nach oben gedrückt wird. Er beruft sich stattdessen auf den sogenannten Coanda-Effekt. Seine scheinbar revolutionären Thesen hat Anderson denn auch in einem - auf den ersten Blick ansprechend und professionell wirkenden - Buch verpackt: Understanding Flight ...

Man muss schon ein Experte sein, um die von Anderson genannten Fakten verstehen und differenzieren zu können. Die große Masse wird jedoch weiterhin in Flugzeuge steigen, ungeachtet der Gefahr, die von Andersons Theorien - die Aerodynamik von Flügeln betreffend - ausgehen!

A physical description of lift

Dienstag, 17. Juli 2007

X-Men in Tschernobyl

Mutation: it is the key to our evolution. It has enabled us to evolve from a single-celled organism into the dominant species on the planet. This process is slow, and normally taking thousands and thousands of years. But every few hundred millennia, evolution leaps forward.
Mit diesen bedeutungsschwangeren Worten beginnt das 2000er Action-Comic-Spektakel „X-Men“. Die von Patrick Stewart vorgetragene Einleitung könnte aber gleichzeitig als das Credo für das gelten, was Comics-Fans als die Silberne Ära bezeichnen. Nachdem die Goldene Ära von Superman, Batman und Captain America mit dem Zweiten Weltkrieg zuende ging, erlebten die bunt kostümierten Recken vor allem dank des Autoren Stan Lee in den Sechzigern eine Wiederauferstehung.

Während die X-Men ihre Fähigkeiten – ähnlich wie Superman – der ganz normalen Evolution verdanken (die auf Krypton eben weiter fortgeschritten war als auf der Erde*), gehen die Kräfte fast aller Helden der Silbernen Ära auf Mutationen zurück, die durch unfreiwilligem Kontakt mit radioaktiver Strahlung ausgelöst wurden. Die bunten Heftchen illustrieren damit den Zeitgeist der Sechziger; einen durch Raumfahrt, Atomenergie und Evolutionsforschung (Miller und Urey erhellten mit ihren Geistes- und Entladungsblitzen gerade die Klassenzimmer) oft ins Phantastische übersteigerten Wissenschafts-Wunderglauben.

Selbstverständlich gingen diese, eher notdürftig an wissenschaftliche Erklärungen angepassten modernen Volksmärchen selbst an der damaligen wissenschaftlichen Realität meilenweit vorbei. Ein bereits im Eingangstext verstecktes Paradoxon ist beispielsweise, dass es entgegen dem landläufigen Verständnis von Evolution als über Äonen hinweg wirkendem Mechanismus eher saltationistische Punkt-Mutationen sind, die den Protagonisten zu ihren Fähigkeiten verhelfen. (Insofern sind Kreaturen wie der Hulk wohl eher 'hopeful monsters', ähnlich wie das menschenfressende Monster im Horrorfilm „Das Relikt“) Nichtsdestotrotz ist es aus heutiger Sicht sehr interessant, wie etwas so erwiesenermaßen unangenehmes und tödliches wie starke radioaktive Strahlung mit einer Aura des Wundersamen und sogar Heilsbringendem versehen wurde.** Das ist in etwa so, wie wenn heute auf jeder zehnten Zigarettenschachtel ein Aufdruck kleben würde, der darauf hinweist, dass exzessiver Nikotin- und Teer-Genuss in sehr seltenen Fällen auch wundervoll positiv auf die Gesundheit wirken kann.***

* Ursprünglich konnte Supi einfach nur meilenweit springen. Für Verfilmungen wurde das jedoch gegen ein Fliegen ausgetauscht, was zwar besser aussieht, evolutionstechnisch jedoch weniger Sinn ergibt.

** 1) Interessant sind in dem Punkt moderne Verfilmungen dieser Comics. Im 2002er Spider-Man beispielsweise ist die Spinne, deren Biss Parker verwandelt, nicht mehr durch Strahlung mutiert, sondern gezielt genmanipuliert. Praktisch wurde also Zufall als Erklärung gegen eine Art intelligent design ausgetauscht.

2) Tschernobyl ernüchterte zwar erst die Achtziger, im russischen „Chemiekombinat“ Majak ereignete sich jedoch bereits 1957 eine nukleare Havarie, die zwar nicht zuletzt dank sowjetischer Nachrichtenpolitik weniger bekannt ist, trotzdem jedoch weit mehr Schaden an Mensch und Umwelt anrichtete.

*** Da Krebs als Mutation von Genen gesehen wird, die für das Wachstum von Zellen verantwortlich sind, wäre ein solcher Hinweis auf Zigarettenschachteln selbst nach heutigem Verständnis nicht völlig abwegig.

Sonntag, 8. Juli 2007

Al-Gore-Rythmen

Rocken gegen den Klimawandel - Unter dem Motto standen gestern weltweit sogenannte Live-Earth-Konzerte. Der Erlös des 'Mega-Events' geht an Al Gores Organisation "Alliance for Climate Protection". Die Frage, wie genau die Veranstaltung dem Planeten nun nützen soll, kann also nur Gore allein beantworten. Für alle anderen ging es scheinbar vor allem darum, dabei zu sein und etwas für eine gute Sache zu tun. Irgendwie halt. Nur wenige Künstler, darunter Madonna, gingen offenbar überhaupt auf das Thema Klimawandel ein.

Die wissenschaftlichen Fakten hinter Schlagworten wie Klimakatastrophe oder Global Warming scheinen nichtsdestotrotz wesentlich weniger eindeutig und common sense in der Wissenschaft zu sein, als es durch solche Aktionen suggeriert wird. Egal, wie man persönlich zu den Fakten steht, als IDler kommt einem das doch bekannt vor.*

Deshalb mein Vorschlag an Dawkins, Miller und Co.: Wie wärs mit Live Evo - Rocken gegen den Kreationismus? Künstler müssten ja zu finden sein, Pearl Jam könnten "Do the Evolution!" spielen, oder T-Rex "Children of the Evolution" (natürlich mit neuem Sänger). Der Vorteil: Image-Gewinn für die Sache ohne auch nur irgendein wissenschaftliches Argument nennen zu müssen.

* Ich bin allerdings klar gegen eine Vermischung von Themen wie Klimawandel mit Intelligent Design, nach dem Motto: Die Mainstream-Wissenschaft kann nur irren. Leider scheint das auf Uncommon Descent der Fall zu sein, vor allem durch Posts von DaveScot. Ich bin übrigens noch dabei, mir eine Meinung zu diesem Thema zu bilden. Das heißt, gegebenenfalls werde ich noch des öfteren darauf zurückkommen. Also, stay tuned... :)

Sonntag, 1. Juli 2007

2084

Letzte Woche geisterte er kurz durch das Internet wie eine schattenhafte Zukunftsvision - Ein Bericht, über den der Europarat am Dienstag dieser Woche debattieren sollte, mit dem Titel "Die Gefahren des Kreationismus für die Bildung" (The dangers of creationism in education).

Der Bericht von Guy Lengagne, Vorsitzender des Europarats-Ausschusses für Kultur, Wissenschaft und Bildung, wurde vom Europarat jedoch als zu einseitig zurückgewiesen. Wenn man den Resolutions-Entwurf liest, ist diese Reaktion nur allzu verständlich. Wie so oft wird das Wohl unserer Kinder vorgeschoben, um eine bestimmte Weltanschauung als Gefahr für die Zivilisation zu brandmarken und den drohenden Untergang des Abendlandes heraufzubeschwören. Laut Lengagne könnte "creationism [...] become a threat to human rights". Da stellt sich die Frage: Ist jemand, für den Kreationismus* eine potentielle Bedrohung der Menschenrechte darstellt, auf längere Sicht damit zufrieden, wenn der Kreationismus per Gesetz aus dem Biologie-Unterricht verbannt wird? Oder sieht er darin nur die Bekämpfung der für ihn bedrohlichsten Auswirkung, sozusagen als ersten und wichtigsten Schritt?
(*An eine Forderung zur Differenzierung zwischen Kreationismus und ID sollte man bei solchen Kampfschriften wohl erst gar nicht denken.)

'Solange die Kreationisten und "IDioten" keine bildungspolitischen Ziele verfolgen, ist alles in Ordnung'... Ich denke, von diesem oft suggerierten Grundgedanken kann man sich getrost verabschieden, wenn man Lengagnes Pamphlet zwischen den Zeilen liest. Lengagne selbst war "schockiert" und "entsetzt" und kommentierte die Entscheidung, seinen Bericht an den Ausschuß zurückzuverweisen mit den Worten: "Für mich ist das ein Manöver jener Menschen, die mit allen Mitteln die Evolutionstheorie bekämpfen und ihre kreationistischen Ideen durchsetzen wollen. Wir erleben hier, wie die Weichen für eine Rückkehr ins Mittelalter gestellt werden, und zu viele Mitglieder dieser Menschenrechts-Versammlung bemerken es nicht." (Auf die Idee, dass sein Bericht vielleicht tatsächlich etwas unreflektiert und pathetisch geworden ist, kommt Monsieur Lengagne natürlich nicht.)

In der europäischen, speziell der deutschen Realität stellen ID und der Kreationismus weniger eine Bedrohung staatlich garantierter Grundrechte dar, sondern vielmehr eine Herausforderung derselben. Wie öffentlich und rechtlich sind beispielsweise unsere Medien, wenn ein vom SFB (heute RBB) produzierter evolutionskritischer Dokumentarfilm nach einmaliger Ausstrahlung im Giftkeller verschwindet, trotz positiver Publikumsreaktionen? (Hat die Bibel doch recht?) Ein weiteres Beispiel wäre das durch die deutschen Brights erwirkte Redeverbot für Reinhardt Junker an einer deutschen Universität (siehe hier). Was hier eher aus Amerika "herüberschwappt" ist wohl ein rigoroser Umgang mit Kritikern der Evolutionstheorie, ein Aufweichen demokratischer Grundrechte durch die gezielte Inszenierung einer Bedrohung derselben.**

Der Journalist Paul Belien zieht im "Brussels Journal" Parallelen zwischen dem Vorstoß des Sozialisten Lengagne und den Verurteilungen von Pro-Life-Aktivisten in Deutschland. So wurde am 14. Juni diesen Jahres der deutsche Pastor Dr. Johannes Lerle wegen Volksverhetzung zu einem Jahr Haft verurteilt, weil er die massenhafte Tötung von Ungeborenen mit dem Holocaust an den Juden verglich. Angesichts des Resolutions-Entwurfs schreibt Belien: "Soon, the German authorities will be able to use the same charge [Anklage wegen Volksverhetzung, Anm. d. Autors] against people who question Darwin’s evolution theory."

** Im deutschsprachigen Raum wirkt das Szenario eines in den Schulunterricht drängenden, als ID getarnten Kreationismus schon allein deshalb konstruiert, weil hier namhafte Vertreter des ID-Paradigmas, wie W.-E. Lönnig und M. Rammerstorfer den Zeugen Jehovas angehören, die jegliche politische Einflussnahme ablehnen.

Video einer Pressekonferenz mit Guy Lengagne

Stellungnahme von Wort und Wissen

Christliches Medienmagazin zum Thema

Dienstag, 29. Mai 2007

Der funktionale Tod

Den Vorwurf, der Darwinismus nehme sehr oft quasi-religiöse Züge an, hört man immer wieder, und das nicht nur von Evolutionskritikern. So schrieb der Wissenschaftsphilosoph Michael Ruse:

"Evolution is promoted by its practitioners as more than mere science. Evolution is promulgated as an ideology, a secular religion—a full-fledged alternative to Christianity, with meaning and morality. I am an ardent evolutionist and an ex-Christian, but I must admit that in this one complaint—and Mr [sic] Gish is but one of many to make it—the literalists are absolutely right. Evolution is a religion. This was true of evolution in the beginning, and it is true of evolution still today."1)
Der Religionssoziolge Franz-Xaver Kaufmann hat sechs Grundfunktionen von Religion herausgearbeitet: "(1) Identitätsstiftung, (2) Handlungsführung, (3) Kontingenzbewältigung, (4) Sozialintegration, (5) Kosmisierung, (6) Weltdistanzierung.“

Allerdings stellt er auch fest:

„Heute gibt es offenkundig keine Instanz und keinen zentralen Ideenkomplex, die im Stande wären, all diese sechs Funktionen in einer für die Mehrzahl der Zeitgenossen plausiblen Weise zugleich zu erfüllen. Wir müssen von der Annahme ausgehen, daß entsprechend der allgemeinen Funktionsdifferenzierung die auf die genannten Probleme gerichteten Leistungen heute von verschiedenen Instanzen erbracht werden. Vieles spricht dafür, daß diese Funktionen heute zumindest teilweise auch von Institutionen erfüllt werden, die im landläufigen Sinne nicht als religiös gelten. [...] Auf der Ebene des Vergleichs einzelner Funktionen scheint somit der Unterschied zwischen religiösen und nichtreligiösen Phänomenen weitgehend
eingeebnet."2)
Zur Kontingenzbewältigung kann man verkürzt sagen: Religion stellt einen Erklärungsrahmen zur Verfügung, durch den an sich Inakzeptables akzeptabel wird – Dinge, bei denen man nur die Wahl zwischen Anerkennung oder Verzweiflung hat: Krankheiten, Naturkatastrophen, Verbrechen, Tod. Viele Philosophen sahen und sehen in der psychologischen Bewältigung des Todes denn auch die primäre Motivation für Religion überhaupt – Religion als infantiler Verdrängungsmechanismus für das Menschheitstrauma schlechthin.

Der Tod, also das ultimative Ende der eigenen Existenz, kann für jedes bewusst existierende Wesen eigentlich nur der absolute Super-GAU sein. Die Sinnlosigkeit an sich. Denn jegliche Sinngebung ist an kognitive Prozesse geknüpft; enden die individuellen kognitiven Prozesse – was beim Tod unvermeidbar der Fall ist – wird damit auch jegliche individuelle Sinngebung hinfällig. Ein Konstrukt, das dem Tod eine tröstliche Sinnhaftigkeit zubilligt, muss deshalb über den Horizont des einzelnen Individuums weit hinausgehen.

Die meisten Religionen verweisen dazu auf eine übernatürliche Sphäre. Die materiellen Vorgänge im Gehirn allein seien nicht das, was unsere Existenz als selbstbewusste Wesen ausmache. Deshalb könne der Funktionsausfall der materiellen Komponenten eines Individuums auch nicht seine komplette Nichtexistenz herbeiführen.

In den Haupt-Ausprägungen der drei großen monotheistischen, abrahamitischen Religionen wird der Tod des physischen Leibes daher als Transit eines vorübergehenden Zustandes in einen ursprünglichen Zustand gesehen. Der Tod hat eine Funktion, damit einen Sinn, und damit etwas akzeptables, tröstliches. Obwohl diese Thematik im christlichen Weltbild etwas komplexer ist, sei hier beispielhaft das Gleichnis aus 1. Korinther 15:36 genannt: Das Weizenkorn als solches muss sterben, um eine Weizenpflanze hervorbringen zu können.

In atheistischen Religionen wie dem Buddhismus hat der Tod (der physischen Manifestation) eines Individuums die Funktion, das Individuum, bzw. gewisse mentale Kräfte desselben einer geistigen Läuterung zu unterziehen, der Befreiung vom Karma.

In dieser postulierten Funktionalität des für das Individuum eigentlich völlig sinnlosen Todes zeigt sich eine grundlegende Gemeinsamkeit des Darwinschen Evolutionsgedankens mit den meisten Religionen. Die so genannte natürliche Auslese selektiert weniger „fittere“ Lebewesen aus, sondern eliminiert eher alle „nicht fitten“ Lebewesen, zum Wohle der fitteren. Der Sensenmann ist also auch hier weniger eine absolut destruktive, sinnfreie, willkürliche Realität, sondern vielmehr ein notwendiger, rational begründbarer Geburtshelfer unserer eigenen Existenz. Sozusagen in der Funktion der Eliminierung von „Nicht-Fitness“, oder – wenn man so will – materiellen Karmas.

1) Ruse, M., How evolution became a religion: creationists correct? National Post, pp. B1,B3,B7 May 13, 2000.
2) Franz-Xaver Kaufmann: Religion und Modernität. Sozialwissenschaftliche Perspektiven. Tübingen.