Auch an sich unerfreuliche Diskussionen können manchmal interessante Fragen aufwerfen. So geschehen letzte Woche. Neben den üblichen Vorwürfen an Evolutionskritiker allgemein (u.a. Naivität und mangelnde Logik) und Aufzählung scheinbar nutzloser oder fehlkonzipierter Körperteile (Füße, Blinddarm, etc.) kamen auch Brustbehaarung und Fußnägel zur Sprache. Sie seien nur unter Voraussetzung einer realgenetischen Verwandtschaft mit anderen Säugetieren zu verstehen.
Die Geschichte der Wissenschaft zeigt eigentlich, dass gegebene Fakten oder Daten nie nur durch eine einzige Interpretation erklärt werden können, deshalb stellt sich die Frage, welche Schlüsse man aus der Existenz dieser biologischen Features ziehen kann. Unter Voraussetzung einer Abstammung von Primaten kann man sie als Rudimente von früher nützlichen Errungenschaften sehen: Ganzkörperfell und Krallen. Aber diese Interpretation ist auch mit vielen offenen Fragen verbunden. Wenn Fußnägel beispielsweise nutzlos wären, warum sind sie dann noch genauso ausgeprägt wie Fingernägel, die durch Stabilisierung beim Greifen sehr nützlich sind? Das wäre ein interessanter Aufhänger für Nachforschungen. Ich könnte mir vorstellen, dass auch sie die Extremitäten-Enden stabilisieren, was bei schnellerem Laufen oder tasten mit den Füßen nützlich sein könnte. (Wahrscheinlich waren sie gar nicht dafür geschaffen, die meiste Zeit des Tages in engen Schuhen zu stecken.) Auch die Restbehaarung hat Funktionen, wie Sensibilisierung der Haut, Herabsetzung der Reibung oder Kanalisierung von Schweißströmen. (Und sicherlich auch ästhetische. Kein Vogel baut sein Nest gern in einem kahlen Baum, heißt es in einem James-Bond-Film mit dem brusthaar-gesegneten Sean Connery ;)
Eine andere offene Frage ist: Warum sollten die Vorfahren des heutigen Menschen überhaupt ihre Ganzkörperbehaarung verloren haben? Solange das nicht plausibel geklärt ist, bleibt der Verweis auf rudimentäre Fellreste argumentativ eher schwach. Das Hauptproblem, mit dem die meisten Erklärungsversuche (wie Savannen- oder Wasseraffentheorie) kämpfen, ist die Einmaligkeit des Verlustes. Wäre Fellverlust ein Vorteil, wäre er auch anderen Säugern widerfahren. Da ein Fell jedoch große Vorteile wie Hitze- und Kälteschutz bietet, sind kaum Vorteile einer Nacktheit zu erdenken, die diese aufwiegen. Zumal wir uns ohne Bedeckung auch gar nicht wohl fühlen und uns die Felle unserer Mitsäuger leihen, bzw. auf andere Weise Fellersatz beschaffen.
Eine andere Merkwürdigkeit der menschlichen Behaarung ist, dass das Kopfhaar lebenslang wächst. Hätten wir keine Technik zum Kürzen der Haare, würden sie irgendwann auf dem Boden schleifen. Haben sich die Frühmenschen überlegt: ‚Ah, wir haben jetzt Messer, jetzt können wir unsere Kophaare wachsen lassen’? Seltsam ist auch, dass Männer kahlköpfig werden, während andere Säuger ihr Fell bis zum Tod behalten. (Wobei Evolutionsbefürworter hier sicher einwenden werden, dass wir wesentlich älter als die meisten Säuger werden.)
Eine Theorie, auf die ich in diversen Foren öfter gestoßen bin, ist die von Oscar Kiss Maerth in seinem Buch „Der Anfang war das Ende“ von 1971 dargelegte. Danach war Kannibalismus der ausschlaggebende Faktor der Menschwerdung. Primaten entdeckten nach Maerth, dass die Gehirne ihrer Artgenossen nach mehr schmeckten und eine verstärkte sexuelle Erregung hervorriefen. Der regelmäßige Hirnkonsum machte sie angeblich intelligenter, führte jedoch auch zu krankhaften Veränderungen wie eben dem unnormalen Haarwuchs und widersprüchliches Verhalten (z.b. Aggression gegen die eigenen Artgenossen, etc.) Das klingt so nihilistisch, dass es für einige sicher eine hohe Plausibilität besitzt. Seriöse Bestätigungen der Theorie findet man im Internet praktisch nicht. In der englischsprachigen wikipedia wird sein Buch pseudowissenschaftlich genannt, er habe die Idee dazu beim Genuss rohen Affenhirns in südostasiatischen Restaurants gehabt.
Der Fellverlust bleibt aus entwicklungsgeschichtlicher Sicht also mysteriös.
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