Eigentlich liebe ich gute Diskussionen. Leider stelle ich aber immer wieder fest, dass meine Vorstellung von einer guten Diskussion, die wie ein Schachspiel sein sollte, wohl ein ziemlich unerreichbares Idealbild ist. Selbst unter intelligenten, fairen und zur Selbstreflektion fähigen Diskussionspartnern gibt es, anders als beim Schach, letztlich keine festlegbaren Regeln, und bis zu einem gewissen Grad redet man wohl immer an sich vorbei. Auch bei Zuschauern des Ganzen können sich ganz unterschiedliche Eindrücke bilden, je nachdem, zu welchem Lager man gehört. Insofern kann man wohl selbst gehaltvolle Diskussion im Endeffekt eher mit Boxkämpfen vergleichen, bei denen man von einer Jury zum Verlierer erklärt werden kann, selbst wenn viele Zuschauer einen ganz anderen Eindruck hatten.
Eine seltsame Diskussion hatte ich vor ein paar Tagen in einem Filmforum. Entsponnen hatte sie sich am neuen Roland-Emmerich-Spektakel, 2012. In einem Zeitungsinterview hatte Emmerich erzählt, dass in seinem Film Bauten und Symbole so ziemlich aller Religionen draufgehen - Petersdom, buddhistische Klöster, etc. - nur nichts islamisches. Hätte man Mekka zerstört, hätte man vielleicht eine Fatwa gegen den Film provoziert, so Emmerich.* Ich weiß nicht, ob das scherzhaft gemeint war oder ernst, beides wäre möglich. Über Emmerichs Werke kann man wohl streiten, ich persönlich sehe sie sehr gern, und ich mochte bisher auch seine Art, unbequeme oder politische Themen in Popcorn-Movies unterzubringen. Dank Godzilla sind beispielsweise Chiracs Atombombenversuche, die seinerzeit weltweite Empörung auslösten, im allgemeinen Gedächtnis verewigt. Dass Emmerich nun der Mut fehlt, allen Religionen ein gleiches Recht auf effektreiches Plattmachen zuzugestehen, enttäuscht mich doch etwas.
Daraus ergab sich nun eine Diskussion über den Islam, in der auch recht schnell Begriffe wie "Fremdenfeindlichkeit" und "Intoleranz" fielen, allerdings in Bezug auf Islamkritiker. Grundtenor war in etwa: Man könne doch nicht eine ganze Weltreligion kritisieren, alle religiösen Schriften könne man zur Begründung jeglichen Terrors missbrauchen, und Christen seien heutzutage auch nicht besser. Stichwort "Abtreibungskliniken in die Luft jagen" oder "intelligent design an die Schulen bringen wollen" (O-Ton). Diese Grundüberzeugung, die offenbar eine tragende Säule im Weltverständnis einiger Diskussionsteilnehmer darstellte, wurde auch nach dem massiven Zitieren renommierter Geschichtswissenschaftler nicht mal ansatzweise in Frage gestellt. Als Quellen für "böse Bibelzitate" wurde unter anderem diese Seite genannt, wo es in Bezug auf Lukas 19:22-27 heißt: "Jesus orders killed anyone who refuses to be ruled by him". Dass es sich hier um die wörtliche Rede eines fiktiven Königs in einem Gleichnis handelt, und damit um quote-mining der übelsten Sorte, änderte nichts daran, dass den Islamkritikern in dieser Diskussion ständig der schwarze Peter des unredlichen "Diskutierens" zugeschoben wurde.
Interessant - oder genauer gesagt, erschreckend - fand ich, wie genau und argumentationsresistent verteilt gewisse Rollen im politisch korrekten Weltverständnis vieler Leute sind. Islam und Christentum müssen da beispielsweise unbedingt als gleich gut oder gleich schlecht gelten. Beide haben Texte, die man irgendwie interpretieren kann, und auf beiden Seiten wurden und werden schlimme Dinge getan. Was genau in Bibel und Koran steht, interessiert dabei eigentlich überhaupt nicht. Und man hat den Verdacht, dass es sich bei der angepriesenen Toleranz in Wahrheit um Gleichgültigkeit handelt. Da wird dann allen Ernstes der Genozid im Sudan mit "in die Luft gejagten Abtreibungskliniken" oder dem Bedrohungspotential von ID-Leuten** verglichen.
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* „Wir haben Mekka bei der Zerstörung ausgelassen, sonst hätten sie eine Fatwa auf unseren Kopf ausgerufen.“ (Focus-Online)
** Ein Bedrohungspotential, dass im Gegensatz zum mehr oder weniger öffentlich erklärten Ziel der Islamisierung der westlichen Welt mancher Muslime mit abenteuerlichen Konstruktionen begründet wird. Immerhin schwächelt mittlerweile eines der Haupt-"Argumente" gegen die kreationistische Weltbedrohung: Kreationisten könnten den Kampf gegen mutierende Viren irgendwie schwächen. (Betonung liegt wohl auf "irgendwie") Wenn im Zuge der Schweinegrippe selbst Ärzte skeptisch gegenüber der eigenen Impfung sind, dürften Kreationisten wohl auch nichts mehr verschlimmern.
5 Kommentare:
Ich finde es auch sehr problematisch, dass Religionen gleichermaßen und unterschiedslos als missbrauchsanfällig gelten. Ich denke, dass es nur wenige Menschen gibt, die aufgrund des Fehlverständnisses konkreter Bibelverse Gewalt anwenden (und etwa „Abtreibungskliniken in die Luft jagen“), ich weiß aber, dass es viele gibt, die sich von der Gewaltlosigkeit, die Christus verkündete und lebte, inspirieren lassen.
Weit über 90% der Opfer religiöser Gewalt sind Christen. Bei den Tätern liegen Christen dagegen im Promille-Bereich.
Zu Lukas 19, 27:
1. Der Vers „Doch jene meine Feinde, die nicht wollten, daß ich über sie herrschen sollte, bringet her und erwürget sie vor mir.“ stammt in der Tat aus einem Gleichnis. Der „Ich“-Erzähler in dem Gleichnis ist ein „König“. Dieser kann mit dem verherrlichten Christus identifiziert werden, dem „Christkönig“, also dem Christus nach Seiner Rückkehr, dem Christus in der Funktion des Weltenrichters. Es spricht hier also nicht der historische Jesus zu den Jüngern und fordert sie zu einer konkreten Handlung auf, wie die Stelle – aus dem Kontext gerissen – suggeriert.
2. Dieses Gleichnis wird in einer emotionalisierten Stimmung erzählt (zuvor hatten viele gesehen, wie Jesus zu Zachäus, dem verhassten Zöllner, eingekehrt ist). Und Jesus erzählt denen, „die das alles miterlebt“ (Lk 19, 11; GN) hatten und nun meinten, das „Reich Gottes werde sofort erscheinen“ (Lk 19, 11; EÜ) dieses Gleichnis, in dem er sie mit deutlichen Worten davor warnt, in dieser Endzeiterwartung die Hände in den Schoß zu legen.
In den Gleichnissen wählt Jesus oft sehr drastische Bilder, weil Er (sicher zu Recht) meint, damit mehr Aufmerksamkeit erzielen, Verständnis erfahren und mehr Menschen auf die Spur zu Gott setzen zu können. Die vieldiskutierte „Gewaltsprache“ Jesu kommt denn auch nur in den Metaphern der Gleichnisse vor und auch nur, um die durch alltägliche Gewalterfahrungen blind und taub gewordenen Menschen (vgl. Mt 13, 13) auf die Wahrheit über die Gewalt und die Wahrhaftigkeit möglicher Auswege aus der Gewalt zu stoßen. Die Rede von Gewalt geschieht also um des Verständnisses der Zuhörer Willen („so wie sie es aufnehmen konnten“, vgl. Mk 4, 33).
3. Wenn es einmal nicht darum gehen soll, vom Christentum ein Schreckensbild zu zeichnen, bietet sich auch ein Blick in andere Übersetzungen an. In vielen Übersetzungen steht statt des „erwürget sie“, das eindeutig als Akt körperlicher Gewalt konnotiert ist, ein deutungsoffeneres „macht sie [...] nieder“.
Aus Lukas 19, 27 aber eine grundsätzliche Disposition des Christentums zur Gewalt abzuleiten, ist absurd. Für mich steht fest, dass jeder, der meint, Gewalt mit Gott rechtfertigen zu können, dem wohl größtmöglichen Irrtum erlegen ist, dem ein Mensch überhaupt erliegen kann. Und wer meint, das damit begründen zu können, dass sich diese Rechtfertigung aus einer bestimmten Bibelstelle ergebe, übersieht den Ozean an anderen Bibelstellen, die dem widersprechen und die er damit eben gerade nicht ernst nimmt. Somit nimmt er die biblische christliche Botschaft insgesamt nicht ernst.
Herzliche Grüße,
Josef Bordat
Die Aussage des Posts habe ich nicht verstanden. :(
@jobo72: Danke für den Kommentar!
@anonym: Meinen Beitrag oder den Kommentar dazu?
Die Aussage meines Beitrages sollte in etwa sein: Während auf der einen Seite ein reales Bedrohungspotential, dass von einer forcierten Islamisierung ausgeht (und das sich u.a. anhand direkter Zitate gewisser Personen belegen lässt) völlig heruntergespielt wird und ausgeblendet wird, wird auf der anderen ein Bedrohungspotential, das angeblich von einer handvoll friedlicher Wissenschaftler und Journalisten in Deutschland ausgehen soll, künstlich aufgepustet und zur Bedrohung des "Wissenschaftsstandortes Deutschland" hochstilisiert.
Und das leider nicht nur von ein paar Leuten in einen Forum, sondern auch massiv von seiten der Medien. Hat wohl damit zutun, womit man sich persönlich profilieren kann, und wovon man im Namen der political correctness eher die Finger lassen sollte.
Emmerich über den vorauseilenden Gehorsam der Medien, deren Teil er ist:
""We have to all, in the western world, think about this. You can actually let Christian symbols fall apart, but if you would do this with [an] Arab symbol, you would have ... a fatwa, and that sounds a little bit like what the state of this world is."
http://www.guardian.co.uk/film/2009/nov/03/roland-emmerich-2012-kaaba
Die Süddeutsche spricht von einer "würdelosen Unterwerfung":
http://www.sueddeutsche.de/kultur/270/494604/text/
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