Dienstag, 17. Juli 2007

X-Men in Tschernobyl

Mutation: it is the key to our evolution. It has enabled us to evolve from a single-celled organism into the dominant species on the planet. This process is slow, and normally taking thousands and thousands of years. But every few hundred millennia, evolution leaps forward.
Mit diesen bedeutungsschwangeren Worten beginnt das 2000er Action-Comic-Spektakel „X-Men“. Die von Patrick Stewart vorgetragene Einleitung könnte aber gleichzeitig als das Credo für das gelten, was Comics-Fans als die Silberne Ära bezeichnen. Nachdem die Goldene Ära von Superman, Batman und Captain America mit dem Zweiten Weltkrieg zuende ging, erlebten die bunt kostümierten Recken vor allem dank des Autoren Stan Lee in den Sechzigern eine Wiederauferstehung.

Während die X-Men ihre Fähigkeiten – ähnlich wie Superman – der ganz normalen Evolution verdanken (die auf Krypton eben weiter fortgeschritten war als auf der Erde*), gehen die Kräfte fast aller Helden der Silbernen Ära auf Mutationen zurück, die durch unfreiwilligem Kontakt mit radioaktiver Strahlung ausgelöst wurden. Die bunten Heftchen illustrieren damit den Zeitgeist der Sechziger; einen durch Raumfahrt, Atomenergie und Evolutionsforschung (Miller und Urey erhellten mit ihren Geistes- und Entladungsblitzen gerade die Klassenzimmer) oft ins Phantastische übersteigerten Wissenschafts-Wunderglauben.

Selbstverständlich gingen diese, eher notdürftig an wissenschaftliche Erklärungen angepassten modernen Volksmärchen selbst an der damaligen wissenschaftlichen Realität meilenweit vorbei. Ein bereits im Eingangstext verstecktes Paradoxon ist beispielsweise, dass es entgegen dem landläufigen Verständnis von Evolution als über Äonen hinweg wirkendem Mechanismus eher saltationistische Punkt-Mutationen sind, die den Protagonisten zu ihren Fähigkeiten verhelfen. (Insofern sind Kreaturen wie der Hulk wohl eher 'hopeful monsters', ähnlich wie das menschenfressende Monster im Horrorfilm „Das Relikt“) Nichtsdestotrotz ist es aus heutiger Sicht sehr interessant, wie etwas so erwiesenermaßen unangenehmes und tödliches wie starke radioaktive Strahlung mit einer Aura des Wundersamen und sogar Heilsbringendem versehen wurde.** Das ist in etwa so, wie wenn heute auf jeder zehnten Zigarettenschachtel ein Aufdruck kleben würde, der darauf hinweist, dass exzessiver Nikotin- und Teer-Genuss in sehr seltenen Fällen auch wundervoll positiv auf die Gesundheit wirken kann.***

* Ursprünglich konnte Supi einfach nur meilenweit springen. Für Verfilmungen wurde das jedoch gegen ein Fliegen ausgetauscht, was zwar besser aussieht, evolutionstechnisch jedoch weniger Sinn ergibt.

** 1) Interessant sind in dem Punkt moderne Verfilmungen dieser Comics. Im 2002er Spider-Man beispielsweise ist die Spinne, deren Biss Parker verwandelt, nicht mehr durch Strahlung mutiert, sondern gezielt genmanipuliert. Praktisch wurde also Zufall als Erklärung gegen eine Art intelligent design ausgetauscht.

2) Tschernobyl ernüchterte zwar erst die Achtziger, im russischen „Chemiekombinat“ Majak ereignete sich jedoch bereits 1957 eine nukleare Havarie, die zwar nicht zuletzt dank sowjetischer Nachrichtenpolitik weniger bekannt ist, trotzdem jedoch weit mehr Schaden an Mensch und Umwelt anrichtete.

*** Da Krebs als Mutation von Genen gesehen wird, die für das Wachstum von Zellen verantwortlich sind, wäre ein solcher Hinweis auf Zigarettenschachteln selbst nach heutigem Verständnis nicht völlig abwegig.

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